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Weniger Prinzessinnen und Prinzen, mehr Räubersöhne und -töchter!

Liebe Eltern, 

täglich werde ich von Eltern zu Rate gezogen, weil ihre kleinen Kinder nicht mehr schlafen, weil sie mit vier, fünf Jahren fleißig an ihren Nägeln kauen, manche entwickeln erste Tics, andere kleben abends an ihren Eltern und weichen keine Handbreit von ihren Hosenbeinen … Wenn die Eltern und ich, wir uns im Gespräch gemeinsam anschauen, wie die heutigen Tagesabläufe der Familien mit jüngeren Kindern (im Alter von 0 bis 6 Jahren, also noch VOR der Schulzeit) aussehen, dann wird in fast allen Fällen deutlich: Heutige Tage moderner Familien müssen rund laufen, morgens geht es zeitig los, die Kinder werden früh in die diversen KiTas verteilt, die Eltern eilen zur Arbeit, nachmittags kommt der eine früher, der andere später zurück, werden die Kinder aus den KiTas geholt, und dann in den einen oder anderen Kurs gebracht: Schwimmunterricht, Ballettstunden, Musikgarten für kleine Kinder usw. usf. . Alle und alles müssen funktionieren – nur eines funktioniert nicht mehr recht: Die Kinder finden nicht in ruhiges Spiel, in tiefen Schlaf, in Muße und verträumtes Verweilen, in echte Konzentration.

Wenn ich bei Eltern die vollen Tage  samt vollem Kurs-Programm in Frage stelle, kommt meist die Antwort: „Aber heute ist das üblich, andere machen noch viel mehr … Sie glauben gar nicht, wie wir angeschaut werden, wenn wir mehr und nur zu Hause sind und einfach spielen ….“
Tja, die Beratungsstunden zu mehr Konzentration und Schlaf kleiner Kinder wären nicht ständig so voll und ausgebucht, wenn das alles wirklich kein Problem wäre!

Mixed race kids are playing outsideSeien Seien Sie realistisch und lebensklug: Lassen Sie Ihre Kinder einfach Kind sein!

Glauben Sie all den Eltern eher weniger, die NOCH mehr leisten als Sie, glauben Sie lieber Ihren Kindern und Ihrem Alltags-Erleben:
Kinder, die nicht schlafen, nicht konzentriert und verträumt spielen, die an ihren Nägel kauen oder häufig quengeln, extrem „klebrig“ sind – sie sind definitiv am Rande ihrer nervlichen Belastung, und da hilft zuallererst eines: Weniger tägliches Funktionieren, mehr Muße und Spiel unter Kindern.
Soeben saß ich zum Ende meines Arbeitstages an einem kleinen Fluss, dessen Ufer wunderschön renaturiert wurde. Jetzt kann man wieder barfuß ins Wasser und über die großen Steine im Fluß balancieren, kleine Steine ins Wasser werfen, Dämme bauen, mit dem Sand am Flussufer dies und jenes bauen … Es ist hell und noch warm – und einige Kinder sind draußen und spielen. Ein gar nicht großer Abschnitt Flußlauf in einer kleinen Stadt  – bedeutet plötzlich wieder großen Reichtum für die Kinder, deren Lust am Verweilen und verträumten Spielen mit Wasser, Sand, Büschen, Bäumen (Ausprobieren, wie hoch man klettern kann, wunderbar!) ganz offensichtlich zunimmt.

Manchen sieht man an, dass sie häufig hier sind und mit großer körperlicher Sicherheit in diesem kleinen  Paradies täglich ihre kleinen oder großen Abenteuer erleben. SO bekommen Kinder ein gutes Körpergefühl, eine große Sicherheit in Körperbalance und Kraft, bei Spielen mit Dingen aus der Natur, alleine oder mit anderen Kindern,  und bei allem das Rauschen des Wassers im Ohr und sein Dahinfließen vor Augen  – das tut nebenbei noch ihrer inneren Ausgeglichenheit gut. Unserer erwachsenen Ausgeglichenheit ja auch – nicht umsonst sitzen auch wir Großen nach der Arbeit gerne an solchen Flussläufen.

Kinder wollen wild und versonnen Spielen, statt irgendwelche Kurse und Förderung!

Anstatt alle unsere Kinder durch reichlichen, täglichen Unterricht, Kurse und frühe Bildung zu unseren individuellen, modernen Prinzen und Prinzessinnen zu machen, wären einige Fliegen mit einer Klappe geschlagen, wenn wir unseren Kindern mehr und wildere Orte zum Spielen einrichteten und sie bei ihrem Spiel in Ruhe ließen, sie also mehr Räuberdasein erleben dürften.
Ich wiederhole mich hier – aber heute begann mein Arbeitstag mit einer besorniserregenden Nachricht:
Die Gaben von Ritalin nehmen weiterhin stark zu – auch viele Erwachsene sind auf Dauer-Medikation mit Ritalin angewiesen. (Nachrichten auf SWR2 am 20.7.2017, morgens 9.00 Uhr). Da ich täglich auch mit den seelischen, nervlichen Nöten Erwachsener zu tun habe, kenne ich dieses Leid, wenn Erwachsene körperlich und seelisch aufgrund blank liegender Nerven nicht mehr können. Ich wünsche unseren Kindern eine solche Zukunft nicht, sie ist schwer.

Noch etwas kam heute in den Nachrichten: Kate und Prinz William sind mit ihren Kindern in Deutschland. Williams Mutter, Prinzessin Diana fiel Anfang der 1980-er Jahren damit auf und dabei heftig aus dem königlichen Protokoll, dass sie dafür eintrat, dass ihre Kinder zuallererst ihre Liebe brauchen (sie weigerte sich, ohne ihre kleinen Prinzen auf lange Reisen zu gehen, sie alleine bei Nannys zu lassen);  und dass die kleinen Prinzen so gut wie nur irgend möglich normale, verspielte Kindheiten haben sollten. Nicht zuletzt für diese warmherzigen Gesten ihren königlichen Kindern gegenüber, jenseits des damaligen höfischen Protokolls, wurde sie weltweit geachtet und stark geliebt.
Vielleicht mögen Sie heute noch eine schöne Geschichte lesen? Dann schauen Sie mal in Astrid Lindgrens „Märchen“ (Oetinger Verlag, Hamburg) und lesen Sie vor Ihrem Einschlafen die Geschichte von der Prinzessin, die nicht spielen wollte.

Seien Sie glücklich, wenn Sie noch Kinder haben, die aus Brombeeren Käse machen können und aus Blättern leckeren Spinat für die Puppen kochen … Zweifeln Sie nicht – wir brauchen mehr Räubertöchter und -söhne als Prinzessinnen und Prinzen – ganz sicher! Räubertöchter und -söhne haben unendlich viele Spielideen, waghalsige Einfälle und Unternehmungen, werden dabei klug und ganz nebenbei körperlich auch noch herrlich robust – was ihnen ein Leben lang Spaß bringt und ihre Gesundheit auf allen Ebenen erhält, nachweislich!
Bis bald wieder,
herzlich Ihre Ingrid Löbner

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